Erwachen 1946

Ein jüdischer Rechtsanwalt kehrt aus der Emigration zurück.

Abschied nehmend geht entlang
Dr. Morgenstern die Kremsergasse
ihre Aura nochmals witternd bang
weil er ja die Stadt nun doch verlasse.
Seitdem man die Juden boykottiert
hat ein Rechtsanwalt hier keine Bleibe,
wo man jede Wand beschmiert
damit man sie ja rasch vertreibe.
Ungewiss scheint ihm das Los,
das in Palästina ihn erwartet,
Hier, St. Pölten schien Abrahams Schoß,
Heimatliebe ist ihm eingeartet.
Einsicht hat auch eine Zeit gebraucht,
dass es mit der Gegenliebe hapert
wer nun mit ihm redet, haucht,
weil die Furcht ihm schon dazwischen klappert.
Und auf niemanden ist jetzt Verlass,
auf Klienten nicht, auf Honoratioren
und die Gattin, einst voll Mut und Spaß,
gibt inzwischen auch den Kampf verloren.
Morgenfrühe ists und menschenleer
nur Frau Pittner ist schon auf den Beinen
quert die Straße zu ihm her,
Abschied nehmend, will ihm scheinen.
Ach, er kennt die Zeichen nicht,
streckt die Hand schon aus zum Schütteln,
da spuckt sie ihm in sein Gesicht,
an ihrem Rassestolz lässt sie nicht rütteln.
War der Führer doch bei ihr zu Gast
nach dem Bad in der St. Pöltner Menge,
des Triumphzugs letzte Rast
im St. Pöltner Grand-Hotel-Gepränge.
Doch die Tausend Jahre gehen schnell,
weil, eh mans gedacht’, die Russen kommen,
aus Frau Karolines Grand-Hotel
wird das Hitlerbild gar bald entnommen.
Auch in Palästina vergeht die Zeit,
der Doktor hasst das südlichere Klima,
das Heimweh macht die Herzen weit,
St. Pölten lockt im Zweifel noch immer.
Bald geht er in Erinnerung
durch kriegsbedingt stark veränderte Gassen
vermisst den alten kecken Schwung,
sie haben alle stark Haare gelassen.
Als ob die Synagoge sie,
die in der Reichskristallnacht zerstörte,
angesteckt hätte, man weiß nicht wie,
und das Virus bald alles verheerte.
Ein Bombenteppich, seine Fransen ziehn,
sich südlich hin bis zur Stadtmitte:
die arme Stadt, jetzt dauert sie ihn,
lenkt er durch sie seine Schritte.
Gewichen ist das Hakenkreuz
dem roten Stern und roten Parolen.
Viele sind bitter, manche reuts,
viele durfte der Teufel schon holen.
Statt Hitler- heißt es nun Stalin-Platz!
Wie voreilig sie sind mit Namen!
Je rascher benannt, umso kürzer hats
meist gedauert: in Ewigkeit Amen!
Die Kremsergasse, noch unbelebt,
durch die einst Hitler gefahren,
und wieder Frau Karoline, er hebt
die Hände, um sich zu bewahren.
Sie quert die Straße, doch diesmal zuckt
Dr. Morgenstein einmal vergebens,
denn sie streckt die Hand aus, statt dass sie spuckt,
und macht ein großes Aufhebens:
“Herr Doktor, dass nur Sie wieder da
sind! Seit wann wieder in diesen Landen?”

  • der Doktor weiß nicht, wie ihm geschah -
    “Den Adolf hätten wir jetzt auch überstanden!”

Sie ist die Freundlichkeit in Person:
“Und wie geht? Sie waren schon blässer!”
Er denkt an den Spott und an den Hohn
und stammelt nur: “Jetzt gehts schon besser!”
Doch der Wert der Erleichterung ist gering:
von allen Sippen, denen konnte frommen
so ein großmächtiges Versöhnungsding,
sind nicht einmal zehn zurückgekommen.

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